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Sabine Seume stellt ihr neues Solostück „Infinity“ vor

Ganz sie selbst sein, einen Tanz so zu gestalten, wie es aus ihr herausfließen will, ohne Einschränkungen von außen - das geht nur in einem Solo, davon ist Sabine Seume überzeugt. Als Company-Chefin, Choreografin und Dozentin muss sie alles im Blick behalten und bleibt doch außen vor. Andere bewegen sich über die Bühne, folgen der Musik und dem Rhythmus. Neun Jahre nach ihrem letzten Solo steht die Düsseldorferin in ihrem neuen Stück Infinity nun wieder einmal allein auf der Bühne. Vor der Premiere am 20. April im Atelier Performative Künste von Susanne Weins in Kaiserswerth sprach Sabine Seume mit Rhein-Ruhr-Kultur.net über ihre Liebe zum Tanz, ihre Faszination für die japanische Tanzform Butoh und über Pina Bausch.

Am 21. August feiert Sabine Seume mit ihrem neuen Solostück "Infinity" Premiere in Düsseldorf. - Foto: Vojtech Brytnickov

Wie sind Sie zum Butoh gekommen und was fasziniert Sie an diesem japanischen Tanzstil?

„Ich habe meine Ausbildung an der Folkwang-Hochschule in Essen gemacht und bin dann in die Schweiz gegangen, um dort in einer Company als Tänzerin zu arbeiten. Nach meinem ersten Solo sprach mich ein Ballett-Direktor aus St. Gallen an und meinte: ‚Was Sie da machen, ist Butoh.‘ Das fand ich spannend. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich davon noch nie etwas gehört. Neugierig geworden, habe ich angefangen zu recherchieren, habe Workshops mitgemacht und bin dann von Carlotta Ikeda nach Tokio in ihre Company Ariadone engagiert worden.

Was mich an meiner neuen Performance fasziniert, auch wenn ich sie nicht explizit Butoh nenne, ist die Reduktion. Butoh hat mich da sehr beeinflusst und geprägt. Das Versuchen Hinzuschauen, Hinzuspüren, schnörkellos zu arbeiten.“

Hinschauen. Hineinspüren - Foto: Vojtech Brytnickov

Wie würden Sie Butoh jemanden erklären, der sich mit japanischem Tanz nicht auskennt?

„Butoh ist als Gegenbewegung, ja als Revolution in den 1960ern zum Modern Dance, Jazz Dance und dem klassischen Ballett entstanden. Die Tänzer haben rebelliert mit einem Wir-erlauben-uns-alles. Es gab verschiedene Ausrichtungen von Butoh. Die Thematiken waren anfangs schon sehr politisch bezogen auf den Zweiten Weltkrieg, und die Aufarbeitung des Traumas von Hiroschima und Nagasaki. Dann wurde Butoh sehr grotesk und eher pantomimisch. Im Laufe der Jahrzehnte hat es sich gewandelt. Es kann sehr sinnlich sein und abbilden, was uns Menschen ausmacht. Alle Facetten des Menschseins vom Brutalen bis hin zum sehr Feinen, vom Weiblichen zum Männlichen. Es kann alles drin sein.“

Gibt es eine traditionelle Musik, die beim Butoh eingesetzt wird?

„Musikalisch kann man tatsächlich von der Stille über Klassik bis hin zur experimentellen Musik alles nutzen. Butoh ist sehr offen und frei. Während meiner Zeit in Japan war ich immer wieder überrascht und fasziniert, mit welcher Freiheit und auf eine schöne Art naiv, die Choreografen mit Musik umgegangen sind. Wo bei uns Europäern immer der Kopf sagt: Nein, das geht nicht. Ich kann doch dafür keinen Pop-Song oder einen Schlager nehmen. Das haben sie aber auf eine wunderbare Art sehr spielerisch gemacht.“  

Basiert Butoh eher auf Improvisation oder festgelegter Choreografie?

„Es ist sehr unterschiedlich und abhängig von der Art, wie Choreografen arbeiten. Ich habe beispielsweise viele Improvisation in meinen Stücken. Es gibt aber auch Choreografen, die fast alles festlegen. Eine dritte Variante ist, dass durch die Improvisation die Choreografie entsteht. Ich glaube, die häufigste Ausprägung ist eine Mischform aus Choreografie und Improvisation, um zu schauen, was bringt der Moment.“

Sie haben eine Weile in Japan gelebt. Wie hat Sie diese Zeit geprägt? 

„Mich hat die Lebensweise fasziniert, diese Einfachheit, die sich auch in der Architektur, in den Gärten und in der Puristik des Essens zeigt. Es gibt so viele Dinge, die mich in Japan inspiriert und beeindruckt haben. Im Tanz war es dieses Schau-genau-hin und die Frage: Was braucht der Moment? In der Musik und in der Bewegung gibt es diese Momente der Stille. Das sind Dinge, die mich und meine Arbeit geprägt haben. Ich denke, die Zeit in Japan hat mich verändert. Ich koche zwar nicht japanisch. Aber die Art, wie die Japaner ihr Essen zubereiten, hat mich beeinflusst und ich habe dort die Meditation schätzen gelernt. Wann immer ich konnte, bin ich ins Kloster gegangen und habe dort meditiert. Ich liebe auch die Schlichtheit der Kaligrafie, selbst wenn ich sie selbst nicht kann, ist es vor allem die Bewegung in der Darstellung und Ausführung.“

Neun Jahre nach ihrem letzten Soloprojekt, steht Sabine Seume wieder allein auf der Bühne. - Foto: Vojtech Brytnickov

Ihr letztes Soloprojekt liegt neun Jahre zurück. Was hat Sie bewogen, nun wieder allein ein Stück auf die Bühne zu bringen?

„Nach meinem letzten Solo 2011 habe ich mit Partnern in Prag gearbeitet, Choreografien entwickelt, Kinderstücke inszeniert und an verschiedensten Produktionen mitgewirkt. Irgendwann kam der Moment, da brauchte ich einfach mal eine Pause. Ich wollte mir Zeit nehmen, um zu rekapitulieren und meinen weiteren Weg zu planen. Dieses Sabbatical hat mir gutgetan und nach drei Jahren war da wieder dieses Gefühl: Ja, ich möchte wieder auf die Bühne. Das war der Impuls, dass es wieder losgehen kann und dafür habe ich mir ein Solostück vorgenommen.“

Was ist für eine Tänzerin die größere Herausforderung. Teil einer Company zu sein oder als Performerin allein ein Stück zu tragen?

„Nach meinen Engagements in Zürich und Tokio habe ich mit den Soli angefangen. Ich habe mich immer unglaublich wohl dabei gefühlt. So auf mich zurückgeworfen zu werden, hat mir gefallen. Als ich dann meine eigene Company gegründet hatte, war ich ganz klar draußen. Ich musste alles im Auge behalten als künstlerische Leiterin, war nicht mehr mitten drin im Geschehen auf der Bühne. Solo zu tanzen ist deshalb für mich etwas sehr Wertvolles. Ich bin ganz ich selbst. Es ist mein Tanz, meine Bewegung und ich bin auf mich selbst zurückgeworfen, ihn zu gestalten. Ich kann nicht sagen, das eine ist wertvoller als das andere. Mich reizt beides.“

Sie werden mit Ihrem neuen Solo-Stück Infinity im Atelier Performative Künste von Susanne Weins in Düsseldorf-Kaiserswerth gastieren. Eine tolle Location für eine Tänzerin.

„Das finde ich auch. Als Tänzerin ist es für mich tatsächlich eine Premiere. Ich habe aber dort schon Choreografien gemacht. Für Susanne Weins und für Andreas Wiemann aus Krefeld. Der Ort ist mir sehr vertraut. Ich bin Dozentin an der Fliedner-Fachhochschule in Kaiserswerth gewesen und habe die Studentinnen immer im Atelier unterrichtet.“

Sie waren auch bei Pina Bausch. Wie war Sie so und wie hat Sie Ihren Werdegang als Tänzerin beeinflusst?    

„Zu meiner Zeit an der Folkwang-Hochschule war sie die Direktorin. Ich habe nicht in ihrer Company gearbeitet. Was ich ganz faszinierend fand, war ihre sehr nachdenkliche stille Art, die ich auch von mir kenne. Sie konnte dasitzen und minutenlang nichts sagen. Man merkte aber, ja – es formiert sich etwas in ihr. Sie war eine unglaublich gute Beobachterin und hat uns studierende Tanzamateure unglaublich klar gesehen. Ich weiß noch, im letzten Studienjahr habe ich ihr natürlich auch vorgetanzt. Sie sagte zu mir: ‚Sabine, ich würde dich gerne nehmen, aber du bist mir noch viel zu jung.‘ Das fand ich eine gute Aussage. Ich merkte ja selbst, in dieser Company würde ich mit gerade 20 Jahren nicht durchhalten können. Ich habe Pina Bausch immer als sehr menschlich empfunden. Sehr zugewandt und zuhörend. Sie hat einem immer Zeit gegeben und sich für alle Zeit genommen.“

Sie unterrichten auch selbst. Hat Sie Pina Bauschs Art geprägt?

„Definitiv. Ich lasse den Schülern und Studierenden gerne viel Zeit, sich selber zu entdecken. Ich gebe keine Choreografien vor und sage ihnen nicht, ‚du machst das jetzt so und so.‘ Aus meiner Ausbildung und von Pina Bausch habe ich mitgenommen, dass ich ihnen immer sage: ‚Schaut was aus euch herauskommt.‘ Das ist Butoh. Da ist es auch wieder: Schau was ist der Grund. Was ist die Essenz.“

Sie haben Ihr Solostück, das am 21. August Premiere hat, Infinity (Unendlichkeit) genannt. Mögen Sie unseren Lesern etwas darüber verraten?

„Es geht der Grundfrage nach: Gibt es einen Anfang? Gibt es ein Ende? Sowohl in der Bewegung, wie auch im menschlichen Leben. Das hört sich jetzt vielleicht groß an. Aber das hat mich in den letzten Jahren schon umgetrieben. Unser Leben ist oft so getaktet, hier ist der Anfang und das ist das Ende. Ich habe mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt, habe recherchiert und gesucht. Ich wollte einfach die Übergänge finden. Gibt es einen Anfang und ein Ende überhaupt? Kann ich das als Individuum, in meiner Kleinheit als Mensch im Großen definieren?“

Das Interview führte Claudia Hötzendorfer

Sabine Seumes neues Solostück Infinity hat am Freitag (21.08) um 20 Uhr, im Atelier Performative Künste, Kittelbachstr. 51/Ecke Alte Landstraße, Düsseldorf-Kaiserswerth. Premiere. Weitere Aufführungen am 22. und 23.08. jeweils ab 20 Uhr.

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter tanz @ sabine-seume.de.

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