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Katja Riemann stellt „Goliath96“ im Bambi-Kino Düsseldorf vor

Katja Riemann gehört zu den Schauspielerinnen, die nicht vergessen, dass ein Filmdebüt für sie das Sprungbrett in eine erfolgreiche Karriere war. Deshalb arbeitet sie immer wieder gern mit Regisseuren zusammen, die ihren ersten Spielfilm drehen, wie Marcus Richardt, der mit Goliath96 ein beeindruckendes Erstlingswerk abgeliefert hat. Zum offiziellen Filmstart kamen Regisseur und Hauptdarstellerin ins Bambi-Kino nach Düsseldorf, um das Drama einer Entfremdung zwischen Mutter und Sohn vorzustellen.

Katja Riemann als resignierte Mutter in Marcus Richardts Langfilmdebüt "Golitah96". - Foto: Litte Dream

Frau Riemann, Sie waren schon öfter in den Debütfilmen junger Regisseure zu sehen. Was hat Sie an dem Drehbuch von Marcus Richardt gereizt, dass Sie gesagt haben, ja – möchte ich machen?

Katja Riemann: „Marcus hat mir das Drehbuch zugeschickt, das er mit Thomas Grabowski zusammen geschrieben hat. Noch ganz altmodisch auf Papier. Als es ankam, habe ich nur kurz reingeschaut und gedacht, ach – das lese ich heute Abend. Dann habe ich das aber an meinem Schreibtisch direkt in einem Rutsch stehend gelesen. Danach habe ich gleich angerufen und zugesagt.“

Herr Richardt, was hat sie an dem Thema des völligen Rückzugs eines jungen Mannes aus dem Leben gereizt, um daraus Ihren ersten Spielfilm zu machen?

Marcus Richardt: „Erfahrungen aus meinem weiteren persönlichen Umfeld waren der erste Impuls. Ich hatte von dem Phänomen in Japan gehört. Dort nennt man es Hikikumori. Es beschreibt, wie über eine Million Menschen, meist junge Männer, sich aus dem Leben völlig zurückziehen, sich isolieren und ihr Zimmer nicht mehr verlassen.“

Katja Riemann und Marcus Richardt (Mitte) beim anschließenden Publikumsgespräch, moderiert von Kinoleiter Nico Elze. - Foto: C. Hötzendorfer

So wie David in Ihrem Film, der seine Einsamkeit selbst gewählt hat.

Richardt: „Wir leben inzwischen in einer Welt, in der das Thema Einsamkeit eine sehr große Rolle spielt, was aber im kompletten Wiederspruch zu der Vorstellung steht, dass man im Internet nie allein ist, weil man dort in Foren und sozialen Netzwerken unzählige ‚Freunde‘ finden kann. Dabei entwickelt sich die moderne Gesellschaft immer mehr in eine Vereinsamung mit dem Fokus auf Individualismus und Vereinzelung. Ich glaube, Einsamkeit ist ein Thema, das alle Altersgruppen betrifft und damit auch jede Generation.“

David lebt im Grunde hauptsächlich in seinem Zimmer, bewegt sich aber frei in der Wohnung, solange er seiner Mutter dabei nicht begegnen muss.

Richardt: „Er ist schon ein wenig verwahrlost, aber nicht so wie ein Obdachloser, denn er wird ja versorgt durch die Mutter und hat auch Zugang zur Dusche. Wenn die Mutter nicht da ist oder sie abends ins Bett geht, bewegt er sich völlig frei in der Wohnung. Dadurch entsteht dieser Rhythmus zwischen den beiden, der dann durchbrochen wird, als Christin ihre Arbeitsstelle verliert. Damit ist dieses Konstrukt zwischen den beiden zerstört, weil sie nicht mehr morgens zur Arbeit geht.“

Riemann: „Die gleichen sich im Verlauf der Zeit optisch immer mehr an. Das ist der Teil des Films, den ich richtig gut finde. Wenn sie den Computer in ihr Bett holt und auch eine Mütze aufhat, im Bett Pizza ist und nicht mehr abwäscht. Bisher war er der Nightshifter und sie der Dayshifter. Jetzt bewegen sie sich in derselben Zeitzone, was David auch kurzzeitig irritiert.“

In Japan schämen sich die betroffenen Eltern sehr für ihre von Hikikumori betroffenen Kinder. Können Sie diese Scham nachvollziehen, denn auch die Mutter hier im Film, spricht selbst mit ihrer besten Freundin nicht darüber?

Richardt: „Das Verhalten von David resultiert aus dem Verhalten der Eltern, zunächst des Vaters der ohne ein Wort gegangen ist und auch der Mutter. Sie möchte, wie viele Eltern gerne zeigen, dass aus ihrem Kind etwas geworden ist. Deshalb betont sie ja auch immer wieder, David ist im Auslandssemester. Alles läuft gut.“

Katja Riemann und Marcus Richardt im Bambi-Kino. - Foto: C. Hötzendorfer

Riemann: „Ich glaube, wir müssen das Thema Scham auch in einem größeren Kontext hier sehen. Viele Menschen schämen sich ja auch vor der Scham selbst. Wir kennen das beispielsweise von Frauen, die vergewaltigt wurden und sich dafür schämen. So entstehen Dunkelziffern, die oft daraus resultieren, dass Menschen mit ihrer Scham nicht zurechtkommen. Warum ist das so? Weil man der Norm und dem Mainstream nicht gerecht wird. Dass man schwach ist, nicht so sein kann, wie man es sich selbst vorstellt oder es sich andere von einem wünschen. Wenn man nicht mehr Teil des Getriebes ist, weil irgendwo ein Rädchen hakt, dann stellt sich dieses Gefühl des Versagens ein. Das alles ist der Grund, warum der Junge im Film sich vor der Welt verschließt.“

Richardt: „Es hat auch viel mit Versagensangst zu tun, dass wir in unserer Gesellschaft Scheitern nicht akzeptieren können.“

Riemann: „Genau und die gehen Hand in Hand mit der Scham.“

Richardt: „Eine zweite Chance oder das Wiederaufstehen nach einem Zusammenbruch, ist eigentlich nicht vorgesehen. Es muss straight immer weiter nach vorne gehen.“

Viele Szenen im Film müssen Sie allein spielen, ohne ein Gegenüber oder nur mit einer Computertastatur, was der Figur eine enorme Intensität gibt. Wie erleben Sie das als Schauspielerin im Vergleich zu einem Drehbuch mit vielen Dialogszenen und einem Gegenüber?

Riemann: „Das ist schon interessant, denn man kann viel ausprobieren. Bislang hatte ich so eine Möglichkeit noch nicht. Es gibt eine Szene im Film, in der die Mutter einen Monolog hält, während sie eine Hand an der Türklinge zum Zimmer ihres Sohnes hat, so als würde sie seine Hand halten. Marcus und ich haben sehr lange über ihren Text gesprochen, weil in diesem Moment etwas entsteht, was man eigentlich nur aus dem Theater kennt: ein Monolog. Monologe sind ja Gedankenstimmen. Damit machen Dramatiker das hörbar, was die Figuren innerlich bewegt. Wir hatten jetzt die Möglichkeit, einen Monolog zu entwickeln, der quasi einen direkten Adressaten hat, der sich dem Dialog völlig verweigert. Das hat mir große Freude gemacht. Ich habe mich da auch nicht absurd gefühlt. Allein die Vorstellung, dass da hinter der Tür jetzt mein Sohn sitzt und ich mich ihm auf diese Weise zuwenden kann, war für mich so dicht.“

Christin, die Mutter, hat in diesem Monologisieren ja auch bereits Übung.

Riemann: „Genau. Denn wir steigen in die Handlung des Films in dem Moment ein, in dem sie sagt, es sind jetzt zwei Jahre. Zwei Jahre, die sie schon in dieser Lebenssituation gefangen ist und in der sie auch schon alle Gefühlsausprägungen vom Zorn, über das Weinen, des Leidens schon hinter sich gebracht hat. Das ist natürlich auch interessant, aber das lassen wir aus und erzählen es nicht. Sondern wir beginnen da, wo die Frau wegen ihres Sohnes arbeitslos wird. Dieses Momentum vor seiner Tür zu sitzen und mit ihm zu sprechen, das war uns wichtig, um zu zeigen, das macht die nicht zum ersten Mal.“

Katja Riemann signiert das Kinoplakat von "Goliath96" im Foyer des Bambi-Kino. - Foto: C. Hötzendorfer

Der Film lässt sich sehr viel Zeit, Christin erst einmal vorzustellen.

Riemann: „Das war für mich auch das Schöne daran. Ich hatte viel Zeit, um ihr Leben auszubreiten und die Zuschauer dadurch mitzunehmen in ihren Alltag, wie sie denkt, fühlt und einfach nur resigniert.“

Richardt: „Wir steigen zu einem Zeitpunkt ein, da eigentlich schon alles passiert ist. Christin hat versucht, ihn mit Gewalt aus seinem Zimmer zu holen, sie hat versucht therapeutische Hilfe zu holen. Aber sie ist an einem Punkt, wo eben schon all das passiert ist …“

Riemann: „… der Läuterung …“

Richardt: „… genau, den sie wie eine Katharsis wahrnimmt. Deshalb ist sie einfach nur noch ruhig. Deshalb ist der Filmeinstieg auch ganz bewusst ruhig. Ich wollte zeigen, dass die Atmosphäre bleischwer auf allem liegt. Eine bleiernde Zeit, in der nichts passiert. Sie lebt eigentlich mit einem Geist zusammen. Aber das ist für sie so völlig in Ordnung, es ist nichts mehr Besonderes daran.“

Riemann: „Sie ist irgendwie angekommen und hat die Situation akzeptiert.“     

Programmleiter Kalle Sommnitz (v. l.), Redakteurin Anne Woschke, Marcus Richardt, Katja Riemann und Kinoleiter Nico Elze. - Foto: C. Hötzendorfer

Interessant an der visuellen Umsetzung in Ihrem Film finde ich die Kommunikation zwischen Mutter und Sohn im Chat. Mal ist nur die Tastatur zu sehen oder die Gesichter der beiden, dann gibt es ein Voiceover oder die Dialoge werden in die Szene eingeblendet …

Richardt: „Vielen Dank für das Kompliment. Tatsächlich haben wir da sehr lange und intensiv dran gearbeitet.Wir wollten gerade diese Elemente nicht dem Zufall überlassen, mit nur aufploppenden Dialogfeldern.“

Sie haben auch trotz Christins hin und wieder stattfindenden Monologen, im Verhältnis wenig Dialoge. Was einmal sehr angenehm ist.

Riemann: „Das freut mich, dass Sie das sagen. Das ist schön. Damit wird doch sehr viel mehr erzählt finde ich oder?“

Viel mehr.

Riemann: „Man hat auch nicht das Gefühl, dass dadurch die Spannung verloren geht.“

Im Gegenteil, genau das erzeugt doch die Spannung. Am Anfang weiß der Zuschauer gar nicht, wo die Reise eigentlich hingehen wird.

Richardt: „Mir ist schon klar, dass man als Regisseur ein großes Risiko eingeht, Pausen zu lassen, nicht zu viel mit Dialog zu arbeiten. Wir haben auch die Musik nur sporadisch eingesetzt. Wir waren uns einig, dass wir den Zuschauer ernst nehmen wollen und damit auch Raum schaffen für eigene Gedanken. Ich finde es wahnsinnig schade, wenn schon alles vorgegeben wird. Es gibt für alles schon Lösungen und einen Anfang oder ein Ende.“

Das letzte Mal waren Sie zu den Dreharbeiten von Margarethe von Trottas Film Die abhandene Welt in Düsseldorf.

Katja Riemann: „Stimmt, ich erinnere mich an ein großes Gelände mit Wald oder Park.“

Das war die Diakonie in Kaiserswerth, die einer der Drehorte war.

Riemann: „Ja genau. Ich habe übrigens auch die Musik zu Margarethes Film gemacht. Ich habe eine Zeit lang nicht weit von Düsseldorf gelebt, in Castrop-Rauxel.  Zwischen Castrop und Rauxel stand das Theater, praktisch im Niemandsland. Der Architekt dachte wohl, das wächst irgendwann alles zusammen.“

Das Interiew führte Claudia Hötzendorfer

Filmstart: 18. April 2019

Nähere Informationen zu Vorführungszeiten unter:  https://filmkunstkinos.de/programm/ und https://www.programmkino.de

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