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Diskussion über die Situation Wohnungsloser Frauen in Düsseldorf im Metropol-Kino

Sondervorstellung von Der Glanz der Unsichtbaren im Metropol-Kino: Die Dramödie erzählt Geschichten wohnungsloser Frauen in Frankreich, die sich größtenteils selbst spielen. Im Publikum sitzen Sozialarbeiterin Julia von Lindern, Mirjam Bensch und Sandra Martini. „In vielem was gezeigt wird, erkennen wir uns wieder“, sind sich die Drei einig. „Die Situation wohnungsloser Frauen ist im Grunde überall gleich“, stellt Sandra Martini nüchtern fest. Die 52-jährige weiß, wovon sie spricht. Mit 18 wurde sie mehrfach vergewaltigt. Das traumatische Erlebnis warf die junge Frau vollkommen aus der Bahn. In den folgenden Jahren lebte Sandra zeitweilig auf der Straße, in Wohnheimen und anderen sozialen Einrichtungen für Wohnungslose in Düsseldorf, Bayern und Paris

Szene aus "Der Glanz der Unsichtbaren". - Foto: piffl-medien/JC Lother

„Meist waren es gemischte Angebote“, erinnert sie sich. Lange hielt sie es nie irgendwo aus, denn immer wieder war sie mit Männern konfrontiert, die in ihr ein hilfloses Objekt sahen, das bereit ist, für ein Dach über den Kopf, mit ihnen Sex zu haben. „Das ist ein Problem, das wohnungslose Frauen von Männern in dieser Situation unterscheidet“, erklärt Julia von Lindern. Frauen seien weitaus häufiger in abhängigen Verhältnissen gefangen, als Männer. „Sie sind auch weit häufiger nicht allein, haben Kinder oder eine Beziehung, während wohnungslose Männer viel isolierter leben“, fügt die Sozialarbeiterin hinzu, die sich seit zehn Jahren bei der Obdachlosenzeitung und Galerie Fifty Fifty engagiert.

Innovatives Wohnprojekt Housing first

Sandra Martini war eine der ersten Düsseldorferinnen, die an dem von Fifty Fifty 2014 initiierten innovativen Wohnprojekt Housing first teilnehmen. Das Straßenmagazin kauft dafür Immobilien an und vermietet dann Appartements an Bedürftige wie Sandra Martini, die auf diese Weise ohne Druck eine Chance erhalten, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.

(v. l.) Sandra Martini, Julia von Lindern und Mirjam Bensch nach der Vorstellung im Metropol-Kino. - Foto: C. Hötzendorfer

Gemeinsam mit Mirjam Bensch (43) gehört Sandra Martini auch zum Team der alternativen Stadtführungen. Die Frauen nehmen Interessierte mit auf einen zweistündigen Streifzug durch Düsseldorf, so wie Wohnungslose die Stadt erleben. „Wir möchten, dass die Leute mit unseren Augen sehen, wie Wohnungslose leben“, bringt Sandra das Konzept dahinter auf den Punkt.

„Wir wollen eine Stimme für Frauen sein, die auf der Straße leben“

Doch nicht nur mit den alternativen Stadtführungen macht die 53-jährige auf die Situation der „Unsichtbaren“, wie sie in dem französischen Spielfilm von Louis-Julien Petit genannt werden, aufmerksam. Sie „glänzt“ als Autorin und Schmuckdesignerin. Schreibt über das, was sie erlebt und sieht, kreiert Ketten aus verschiedensten Materialien, wie Jeansstoff und Strohhalme. „Upcycling liegt doch im Trend“, meint Sandra dazu.

So wie die Darstellerinnen in dem französischen Kinofilm, wollen auch Mirjam Bensch und Sandra Martini wohnungslosen Frauen eine Stimme geben. - Foto: piffl-medien/JC Lother

„Wir möchten nicht nur beispielhaft für Wohnungslose stehen, sondern vor allem auch eine Stimme für die Frauen sein, die auf der Straße oder in abhängigen Verhältnissen leben“, gibt Mirjam Bensch dem Publikum im Metropol-Kino mit auf den Weg, das nach dem Spielfilm feststellt, die Frauen in Frankreich kennen die gleichen Probleme wie in Düsseldorf.

Keine offizielle Statistik zu Wohnungslosenzahlen in Deutschland

Im Großraum Düsseldorf leben rund 3500 Wohnungslose in städtischen Einrichtungen, davon ein Drittel Frauen., Stand Juni 2018, Tendenz steigend. Allein zwischen 2016 und 2018 stieg die Zahl um das Dreifache. „Wobei wir von einer noch weit höheren Dunkelziffer ausgehen müssen“, erklärt Julia von Lindern. Unglaublich, aber wahr – eine offizielle Statistik, die bundesweite Zahlen zur Situation Wohnungsloser erhebt, gibt es bislang nicht. „Wir sind immer auf Schätzungen angewiesen“, bedauert die Sozialarbeiterin, was es ihr und ihren Kollegen entsprechend schwer macht, für Hilfsprojekte Geldgeber zu finden. „Natürlich möchte jeder konkrete Zahlen sehen“, meint sie. Dabei ist die Situation gerade in Düsseldorf alles andere als gut für Frauen. Anlaufstellen wie Frauenhäuser, Mutter-Kind-Angebote und Wohnheime nur für Frauen, waren bereits in den Sommermonaten bis zu 90 Prozent ausgelastet. „In der kalten Jahreszeit, sind sie entsprechend überlaufen und müssen sehr oft die Aufnahme ablehnen“, weiß Julia von Lindern. So leben viele Frauen in einem Teufelskreis, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Denn, wollen sie nicht auf der Straße übernachten, nehmen nicht wenige von ihnen die Angebote so genannter „Sozialfreier“ an, die von ihnen Sex gegen einen Schlafplatz fordern. „Das kann gefährlich werden“, weiß Sandra Martini aus eigener Erfahrung zu berichten. „Dann leben diese Typen weit außerhalb, du kannst nicht weg und bist ihnen ausgeliefert“.

Mietschulden, Scham und Hilflosigkeit sind nur einige Gründe

Die Gründe, warum Frauen ihr Dach über den Kopf verlieren, sind sehr oft unverschuldet. „Sie haben ihre Arbeit verloren, haben Mietschulden, wurden wegen Eigenbedarfs gekündigt oder ihr Partner hat sie verlassen und sie finden keine Stelle“, zählt Julia von Lindern auf. Scham spiele ebenso eine Rolle, wie Hilflosigkeit. So finden sich Frauen weitaus häufiger und schneller in der Opferrolle wieder, als Männer, vor allem dann, wenn sie Kinder haben. Da kann es vorkommen, dass sie einfach durchs Raster fallen, wie Sandra Martini. Obwohl die Düsseldorferin acht Monate in einer sozialen Einrichtung lebte, fiel niemandem auf, dass sie weder krankenversichert war, noch die ihr zustehenden Leistungen bezog. Ohne das Engagement von Sozialarbeitern, die als Streetworker und Ansprechpartner in vielen Einrichtungen für die Frauen da sind, würde die Zahl derer, die auf der Straße leben, wohl noch weitaus höher ausfallen.

Claudia Hötzendorfer          

Der Glanz der Unsichtbaren läuft noch zu weiteren Terminen im Metropol-Kino, Brunnenstr.  20 in Düsseldorf. Infos zu Vorführungszeiten unter: www.filmkunstkinos.de.

Infos zur Arbeit von Fifty-Fifty unter: www.fiftyfifty-underdog.de

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