Derzeit flimmert Heidi Klums neustes Casting Format über die Bildschirme. Das Model sucht Deutschlands beste Drag Queen. Aber wie realistisch ist das, was das TV-Format zeigt? Wir haben einmal bei Dario Naunheim aus Düsseldorf nachgefragt, der vor vier Jahren als Deutschlands jüngste Drag Queen Dyana Dyamond eine vielversprechende Karriere begann, den Olivia Jones als ihren ersten „Dragtikanten“ unter ihre Fittiche nahm und der trotz Erfolg mit verlockenden Angeboten. seiner Heimatstadt treu bleiben will.
Du hast mit 16 an Olivia Jones geschrieben und Sie hat nicht geantwortet. Hat dich das enttäuscht?
„Nein. Denn ich war damals noch viel zu jung. Normalerweise nimmt sie niemanden unter 20. Olivia hat mich aber dann zu meinem 18. Geburtstag nach Hamburg eingeladen, als ihren ersten Praktikanten überhaupt. Was sie wohl überzeugt hat war, wie sicher ich war, dass ich genau das machen möchte. Ich durfte zehn Tage lang in ihre Arbeit hineinschnuppern, habe mit ihr zusammen in einer Künstler-WG gewohnt. Das war wirklich sehr spannend, eine Kunstfigur kennen zu lernen, die so viel Medienpräsenz hat, aber auch den privaten Oliver zu treffen.“
Was hast Du aus diesem Praktikum für dich mitgenommen?
„Ich habe mich selbst besser kennen gelernt und wie ich mit bestimmten Situationen besser umgehen kann. Denn ich wurde wirklich ins kalte Wasser geworfen. Vorher habe ich vielleicht vor 50 oder 60 Leuten auf der Bühne gestanden. In Hamburg waren es 200 bis 300 Leute, die ich überzeugen musste. Das hat mich wirklich vorangebracht.“
Hast Du in Frau Klums neue TV-Show schon reingeschaut?
„Ich habe sie gesehen. Aber ich muss zugeben, mein TV-Highlight des Jahres wird die Show eher nicht. Ich finde es schön, dass es ein Format für Drag Queens gibt und auch für diejenigen, die daran teilnehmen. Aber für mich persönlich wäre das nichts.“
Es ist ja kein klassisches Casting, denn es gab schon eine Vorauswahl.
„Das finde ich sehr schade, denn es gibt so viele talentierte Travestie-Künstler mehr, als nur diese zehn, die da sind. Wenn ich ehrlich sein darf, finde ich die Aussage, man hätte die zehn besten Drag Queens Deutschlands gefunden, schon sehr hoch gegriffen. Wer entscheidet das denn? Travestie ist ein Beruf oder auch eine Berufung und dafür braucht man viel Mut. Es gibt so viele Drag Queens in Deutschland, die für Anerkennung kämpfen. Da zu sagen, das sind die besten, finde ich unpassend.“
Wie realistisch ist das, was da von den Drag Queens und der Szene zu sehen ist?
„Die Show ist absolut unrealistisch. Es ist keineswegs immer dieser Glam-Faktor. Es hat viel mit Verwandlung zu tun. Man hat Sorgen als Mensch, hat Kostüm- und Jobprobleme. Da wird das Bild vermittelt, Drag ist etwas, das man mal eben so macht. Wenn ich schon höre, dass jemand sagt, ich probe nicht für meine Auftritte und mache alles spontan, bekomme ich die Krise. Denn jeder muss proben. Es ist harte Arbeit und ein Beruf. So ein TV-Format wirft ein falsches Licht auf die Szene, denn die Leute glauben schnell, Drag ist nichts weiter, als ein bisschen Schminke und schrille Klamotten. Mut ist ein wichtiger Aspekt, der für mich, in der Show zu kurz kommt. Ich hoffe, das ändert sich noch.“
Wie ist denn die Drag-Szene in Düsseldorf aufgestellt?
„Sie ist nicht so groß, wie zum Beispiel in Köln. Aber es gibt Travestie-Künstler, die hier regelmäßig auftreten. Ich habe selbst auch als Teil einer Travestie-Gruppe angefangen. Allerdings sind die meisten Künstler etwas älter, so ab 50 aufwärts. Junge Drag Queens gibt es leider kaum. Ich würde mir sehr wünschen, dass es auch bei den Jüngeren populär wird. Das würde ich sehr gerne fördern, denn ich habe ja selbst mit 16 angefangen.“
Wann war der Moment, in dem Du wusstest, das möchte ich beruflich machen?
„Bei einer Klassenparty im Rahmen einer Motto-Woche in der Schule. Ich hatte die Idee eines Rollentauschs, die Mädchen tragen Jungskleider und umgekehrt. Aber irgendwie wollte keiner mitmachen. Als ich zuhause mit den Klamotten meiner Schwester geprobt und mich geschminkt hatte, habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir die Verwandlung macht. Mein Schlüsselmoment war dann der Abschlussball. Da war mir schlagartig klar, das will ich beruflich machen.“
Wie hat denn dein Umfeld auf deinen Berufswunsch reagiert?
„Unterschiedlich. Meine Familie hat mich immer unterstützt, aber viele Freunde konnten das anfangs nicht verstehen. Die dachten, okay das ist ein Hobby und tun sich schwer damit, dass ich mich für Travestie als Beruf entschieden habe. Und leider verstehen viele auch nicht, dass ich mich gerne sozial mit meinen Auftritten engagiere, für Obdachlose genauso auf die Bühne gehe, wie für Senioren oder Kinder.“
Inzwischen studierst Du Tanz und Schauspiel-Therapie, wirst gleichzeitig mit deinen Travestie-Shows immer erfolgreicher und bekommt verlockende Angebote. Wo siehst Du dich in fünf Jahren?
„Nicht unbedingt auf dem Hamburger Kiez. Wenn ich auch im nächsten Jahr wieder mit Olivia Jones arbeiten möchte. Mir gefällt es hier in Düsseldorf und ich würde mich gerne auch hier weiter engagieren. Mein Traum wäre ein kleines Café mit Bühne, nicht nur für die Drag-Szene, sondern für alle, die etwas Können und sich zeigen möchten.“
Claudia Hötzendorfer
Infos
Drag Queen: Der Begriff stammt aus dem 1900 Jahrhundert. Als in der englischen Theaterszene Frauenrollen noch von Männern gespielt wurden.
Dyana Dyamond ist Dario Naunheims Künstlername. Der Gerresheimer tritt seitdem er 16 ist, regelmäßig mit seinen Shows auf. Live zu sehen ist der inzwischen 20-jährige am 30. November, Vennhauser Allee 15-17 in Düsseldorf. Beginn: 19 Uhr. Tickets und weitere Infos unter: www.facebook.com/Travestiedyanadiamond
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