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Bewegende Erinnerungen in Ingo Tobens neuer Inszenierung „Turning Points“

Mit Turning Points setzt Regisseur Ingo Toben seine Reihe mit Inszenierungen für das Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT) fort, die Jugendliche und ihre Erlebnisse als Flüchtlinge ins Zentrum stellt. Turning Points feierte am Samstagabend in der Planwerkstatt 378 in Düsseldorf-Flingern, eine beeindruckende Premiere. Der Rahmen intim, die Umsetzung berührend und das fünfköpfige Ensemble intensiv in der Performance.

Der Rahmen intim, die Umsetzung berührend und das fünfköpfige Ensemble intensiv in der Performance. - Foto: Kamila Kurczewski

„Meine Mutter hatte immer Angst um mich. In Syrien war es der Krieg, in Deutschland das neue Leben“, resümiert Gulhan, nachdem sie von einer Begebenheit in der Schule kurz nach der Ankunft in Düsseldorf erzählt hat. Hinter ihr lagen Flucht, Warten, Ungewissheit. Ein Schicksal, das sie mit so vielen teilt, deren Geschichten aber kaum jemand kennt. Die Gemeinheiten eines Mitschülers, der sich über Gulhans Herkunft lustig gemacht hatte, waren ihr Ansporn, es ihm zu zeigen, besser zu sein als er. „Ich habe meinen Abschluss geschafft, er blieb sitzen“, sagt sie und ein wenig Stolz schwingt in ihrer Stimme mit. Wenn sie das schaffen konnte, dann wollte sie sich auch ihren zukünftigen Beruf aussuchen dürfen, Fotografin oder Make up Artist soll es sein, selbst wenn das bedeutet, sich gegen den Wunsch der Eltern durchsetzen zu müssen. Dies war nur einer der Wendepunkte in Gulhans Leben.

Im Dialog mit dem Publikum

Turning Points ist nicht das erste Stück, das Ingo Toben mit dem jungen Ensemble für das FFT realisiert. Zuvor hat er schon die Projekte Inviting Strangers (2018) und Meeting Strangers (2019) mit ihnen umgesetzt. Immer unmittelbar in der Interaktion mit dem Publikum im kleinen Rahmen. So performte das Team bei Inviting Strangers auf Einladung in privaten Wohnzimmern.

Eine Auseinandersetzung mit den Lebensläufen von jugenlilchen Geflüchteten. - Foto: Kamila Kurczewski

Im Zentrum der Produktionen steht die Auseinandersetzung mit den Lebensläufen dieser jungen Frauen und Männer zwischen 16 und 22 Jahren, die ihre Heimat, Freunde, oft auch einen großen Teil der Familie hinter sich lassen mussten, in eine ungewisse Zukunft aufbrachen und sich von vielen Träumen verabschiedet haben.

Das Publikum wird in die Inszenierung mit einbezogen. Die ehemalige Autowerkstatt an der Erkrather Straße, ist mit dunklen Tüchern verhängt, auf dem Boden liegen Teppiche. Die Beleuchtung diffus. Fünf Ensemblemitglieder, fünf Stationen. Nur vier Gäste betreten pro Vorstellung den Raum. Sie sitzen im Kreis mit jeweils einem Ensemblemitglied. Vor sich ein kleines beleuchtetes Pult mit einem Text. Nach einer kurzen Einführung treten sie in den Dialog miteinander. Können sich so einfühlen in das, was da erzählt wird.

Wendepunkte

Es beginnt eigentlich immer mit einem ganz normalen Leben. Mit dem Alltag, bis bestimmte Ereignisse, ihre Familien zur Flucht aus Afghanistan, dem Iran, Irak oder Syrien zwangen. Da sind die Taliban, die Schulen schlossen. Schlepper, die Flüchtlinge über das Meer in die Türkei schleusen und dort sich selbst überlassen. Inhaftierungen, getrennte Familien, Gescheiterte Fluchtversuche. Ihre Odysseen führten sie alle nach Düsseldorf.

Die "Turning Points" (Wendepunkte) kommen mal von außen, mal basieren sie auf den Entscheidungen der Jugendlichen. - Foto: Kamila Kurczewski

In Schulen sucht Ingo Torben nach Jugendlichen, die Interesse am Theater haben, sich ausprobieren wollen und auf diese Weise auch ein Ventil bekommen, sich mit ihren Erlebnissen auseinanderzusetzen. Indem sie anderen davon erzählen, bekommen sie oft zum ersten Mal das Gefühl, gehört zu werden und dass die Menschen sich für ihre Geschichten interessieren.

„Wir haben uns dafür Wendepunkte ausgesucht, die zum einen von außen kommen und zum anderen solche, die unmittelbar aus einer eigenen Entscheidung resultieren“, erklärt Regisseur Ingo Toben das Konzept von Turning Points.

Der intime Rahmen mit kleinem Publikum habe schon vor Corona festgestanden, gibt er Einblick in die Produktion. „Wir wollten bewusst in den Dialog treten und das ist nur möglich, wenn die Zahl der Gäste überschaubar bleibt“, fügt er hinzu.

Berührend, persönlich und nachhallend

Die Erinnerungen von Gulhan, Mohammad, Pooriya, Emad und Fahd berühren nicht zuletzt deshalb, weil sie so persönlich sind und vieles ungesagt bleibt: Heimweh, sich fremd in einem neuen Land fühlen, Angst um Angehörige zu haben und trotzdem an einem Ziel festzuhalten. wie Arzt zu werden, den Abschluss zu schaffen und die Brüder wiederzusehen. Auf der anderen Seite Freunde zu verlieren, sich für 1500 Kinder in einem türkischen Flüchtlingscamp einzusetzen, weil sie zur Schule gehen sollen und vielleicht auch irgendwann in diesem Land anzukommen.

Mit Turning Points setzen Ingo Toben und sein Ensemble überzeugend ihre Arbeiten der letzten beiden Jahre fort. Die Inszenierung zieht hinein in die Lebenswelten der Jugendlichen und hallt noch lange nach.

Turning Points ist noch bis 7. November jeweils samstags, sonntags und mittwochs in der Planwerkstatt 378, Erkrather Straße 191 in Düsseldorf zu sehen. Weitere Infos zu Anfangszeiten und Tickets unter: www.fft-duesseldorf.de

Claudia Hötzendorfer

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